Vor einem halben Jahr kam Eisbär Knut auf die Welt. In dieser Zeit wurde der weiße Knuddel zu Berlins VIP Nr.1. Morddrohungen und Millionenumsätze inklusive. Dabei hatte seine einzigartige Erfolgsstory mit schroffer Ablehnung begonnen.
Was war der klein am Anfang. Passte in eine Hand und wog gerade mal 810 Gramm. Die Augen waren geschlossen und unter dem spärlichen weißen Haarfilm schimmerte es rosa. Hilflos lag der kleine Eisbär im Brutkasten, wo ihn 35 Grad und zwei im Vergleich zu ihm geradezu riesige Kuscheltiere wärmten. Und heute? Heute tobt ein munteres Eisbärenkind mit mehr als 28 Kilogramm Gewicht über die Anlage. Knut kann sich aufstellen und schwimmen, mag spielen und manchmal auch beißen, wenn ihm irgendwas nicht passt oder jemand seine Nuckelminuten an der Hand von seinem Ziehvater Thomas Dörflein stört. Genau vor sechs Monaten wurde Knut im Berliner Zoo geboren. Er hat also Halb-Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Knut!
Es war eine Sensation, als der Zoo am 22. Januar diesen Jahres die Geburt eines Eisbären vermeldete. In freier Wildbahn werden nur 50 Prozent der Jungtiere groß, in Zoos sind die Chancen noch viel geringer. Deshalb hatte man die Nachricht auch wochenlang geheim gehalten.
Zu recht. Knuts Leben begann mit einer dramatischen Rettungsaktion. Eisbärin Tosca hatte seinen Bruder und ihn nämlich nach der Geburt am 5. Dezember aus der Wurfhöhle ins Freie geschleppt und auf dem kalten Boden liegen lassen. Fünf Stunden lang hofften die Tierpfleger auf den Mutterinstinkt, dann erst angelten sie die zwei Jungtiere aus dem Käfig und legten sie in den warmen Brutkasten. Knuts Bruder überlebte diese Strapazen nicht, und er selbst ließ seinen Ziehvater mit zahlreichen Auf und Abs in den ersten 14 Tagen um sein Leben bangen. Alle zwei Stunden gab Thomas Dörflein, der schon in der gleichen Nacht mit einem Schlafsack in die Eisbär-WG gezogen war, dem Kleinen die Flasche mit einer Welpen-Aufzuchtsmilch, und der Tierarzt fertigte aus dem Blut der Mutter ein Serum mit Immunabwehrstoffen, das das Bärenbaby stärken sollte. So viel Einsatz zahlte sich aus, Knut wurde größer, öffnete mit 16 Tagen sein linkes und wenig später auch das rechte Auge und brachte Ende Dezember mehr als 2000 Gramm auf die Waage.
Mit 44 Tagen durfte Knut aus dem Brüter in eine gemütliche Holzkiste umziehen. Er wog fast fünf Kilogramm und durfte zum ersten Mal püriertes Fleisch probieren. Der Zeitpunkt war gekommen, um Knut der Öffentlichkeit vorzustellen. Und die geriet total aus dem Häuschen. Es setzte ein Knut-Hype ein, den kein anderer Zoo jemals zuvor mit einem Jungtier erlebt hatte. In der Zoo-Verwaltung standen die Telefone nicht mehr still. Wie geht es ihm? Was braucht der Kleine? Wann darf man ihn besuchen?
Erstmal gar nicht. Knut bekam von dem ganzen Rummel um seine Bärengestalt nichts mit. Von Menschen und vor allem gefährlichen Viren und Bakterien abgeschirmt wurde er hinter den Kulissen immer größer. Er lernte Wasser kennen, tauchte erst einmal den ganzen Kopf in das ungewohnte Element und musste lernen, dass man Wasser nicht atmen kann. Anfang Februar brachen die ersten beiden Eckzähne im Unterkiefer durch, und wenig später machte er die ersten Gehversuche: Hochdrücken, loslaufen, umfallen, hochdrücken, loslaufen. Als kleine Hilfestellung schob ihm Thomas Dörflein damals gummierte Automatten unter die Pfoten.
Wer ein großer Bär werden will, muss beizeiten das Kämpfen lernen. Wenn Knut nicht schlief oder fraß, balgte und kuschelte er mit seinem Ziehvater. Sogar drohen konnte der Winzling schon, indem er die Oberlippe aufstellte und zu schnaufen begann. Jetzt war er kräftig genug, um sich seinen Fans zu zeigen. Am 23. März drängten sich internationale Fernsehteams, Fotografen und Zoobesucher vor dem Bärengehege. Knut präsentierte sich als mediengewandter Star. Er zeigte sich brav von allen Seiten, spielte, schmuste und posierte. An seiner Seite schritt sein Pate, Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD).
Bis zu 6000 Menschen drängelten sich in den folgenden Wochen täglich vor dem Gehege, in dem Knut zwei Stunden am Tag zu sehen ist. Ihn selbst ließ der Trubel kalt und auch eine Mitte April per Brief eingegangene Morddrohung („Knut ist tot. Donnerstagnachmittag.“) konnte ihn nicht in Unruhe versetzen. Knut hatte ganz andere Probleme: Die zweiten Zähne kamen durch. Das tat weh. Mehrfach schwoll der Gaumen an, einmal war Knut so neben der Spur, dass die Showstunde unterbrochen und der Tierarzt gerufen werden musste.
Inzwischen sind bis auf die großen Eckzähne alle durch. Knut ist schon längst kein Baby mehr, eher ein Bärenkind im Trotzalter. Er beißt, wenn ihm etwas nicht passt und klaut sich in der Futterküche die Leckerbissen. Er ist ein Räuber und ein Draufgänger – und trotzdem immer noch „total süß“.
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