8. November 2009, NZZ am Sonntag
Gehege für glückliche Bären
Kaum zu sehen sind die braunen Grosswildtiere. Ein Zeichen, dass sie sich wohlfühlen?
Schweizer Tierparks bemühen sich, Braunbären artgerecht zu halten. Ob die neuen Anlagen in Bern, Goldau und Servion das Wohlbefinden der Raubtiere steigern, muss sich erst zeigen.
Von Andrea Six
Moderne Wildtier-Gehege können frustrierend sein. Als Besucher wird man von irgendwo aus dem Gebüsch beäugt. Selber sieht man aber nichts und muss sich mit einer Info-Tafel zufriedengeben. Anders als in den Anfangszeiten der Zoos, als möglichst viele exotische Arten lediglich ausgestellt wurden, versucht man heute, den Tieren eine artgerechte Umgebung zu bieten. «Derartige Anlagen sind so gut konzipiert, dass die Tiere sich eben auch zurückziehen können», sagt Marc Rosset, Kurator des Tierparks Dählhölzli in Bern. So tun es auch die beiden Europäischen Braunbären Björk und Finn, die seit Mitte Oktober den neuen Bärenpark bewohnen.
An einem sonnigen Herbstvormittag schläft Bärin Björk völlig entspannt im Heubett einer Höhle des terrassierten Geheges, unsichtbar für die Besucher. Immerhin kann man Björk per Web-Kamera beim Schlafen beobachten (www.baerenpark-bern.ch). Finn hingegen poltert im Stall, ihm ist die neue Anlage offenbar noch suspekt. «Vielleicht weckt der Ort etwas schlechte Erinnerungen an sein altes Gehege in Helsinki», so Rosset. «Du brauchst einfach noch etwas Zeit», sagt der Biologe zu dem pelzigen Koloss im Stall, der unruhig aus der Tiefe seiner gewaltigen Brust brummt und grollt.
Und auch der Bärenpark braucht noch Zeit, denn die fast 24 Millionen Franken teure Anlage bietet den Tieren zwar 6000 Quadratmeter Platz, ist aber nicht fertig eingerichtet. «Es fehlen noch einige Beschäftigungsmöglichkeiten», sagt Rosset. Holzhaufen beispielsweise zum Klettern und als Behausung für Mäuse, welche die Bären dann jagen können. Oder Stellen, an denen die Tiere Honig lecken können. «Wir müssen das Gehege mehr bepflanzen, damit es nicht so übersichtlich ist.» Überraschenderweise geht es nicht darum, dass die Bären sich im Gebüsch verstecken können. Denn das Publikum störe die neugierigen Raubtiere nicht. Vielmehr will man es für die Bären schwieriger machen, das Gelände zu überblicken. «So müssen sie sich anstrengen und bewegen, um alles im Auge zu behalten.»
Für derart kluge Tiere sind Langeweile und Unterforderung im Zoo die grössten Probleme. Diese hofft man in Bern zu verhindern. «Das Konzept der neuen Anlage entspricht dem neusten Stand der Tierhaltung in modernen Zoos», urteilt Peter Schlup vom Schweizer Tierschutz (STS) in Basel über den Bärenpark. Schlup hat den Umbau der Anlage als Wildtier-Experte begleitet. Man sehe, dass Rücksicht auf die natürlichen Bedürfnisse der Tiere genommen werde. Ein paar Anpassungen seien noch nötig. Aber man könne nun wirklich von tiergerechter Haltung sprechen. Die grossen Braunbären-Gehege in der Schweiz in Bern, Goldau und im Tierpark Langenberg seien Top-Anlagen.
Auch der kleinere Zoo Servion im Kanton Waadt baut derzeit für etwa 500 000 Franken sein Bärengehege um. Dem Bärenpaar stehen ab Frühling 2010 1600 Quadratmeter zur Verfügung, 3-mal mehr als bisher. «Mit diesem Umbau wurde den Möglichkeiten eines kleines Zoos entsprechend sehr viel verbessert», sagt Schlup. Die Tiere können sich auf Naturboden bewegen, und man reicht ihnen Früchte, die in Eisblöcke eingeschlossen sind. So sind sie eine Zeitlang beschäftigt, bis sie an ihr Futter gelangen.
In grösserem Massstab hat der Natur- und Tierpark Goldau diesen Sommer seine Bärenanlage erweitert. Seit Juni tummeln sich die 5 Syrischen Braunbären auf 11 000 Quadratmetern. Mit 6,8 Millionen Franken erstellten die Goldauer ein Gehege, das auf dem felsigen Gelände des Goldauer Bergsturzes von 1806 liegt. Künftig sollen 2 Raubtier-Arten, Bär und Wolf, in der Anlage leben. Bis jetzt sind sie noch durch einen Zaun getrennt. «Die 4 kleinen Wölfe des Rudels sind zu jung und unerfahren», sagt Martin Wehrle, Veterinär des Tierparks. «Die wissen nicht, dass ihnen von den Bären Gefahr droht.» Die Besucher sehen jetzt schon, wie beide Beutegreifer sich am Zaun entlang verfolgen und aufmerksam beäugen. Da der Bär als Einzelgänger über ein geringes Repertoire an Gesten und Mimik verfügt, ist es ein lang dauernder, anspruchsvoller Lernprozess für die Wolfskinder. «Im Winter wollen wir erstmals eine Bärin zu den Wölfen lassen», so der Tierarzt.
Das neue Gehege haben die Braunbären sofort angenommen. Sie klauben Obst und Nüsse von den Bäumen und fangen Fische aus den Teichen. «Eindrücklich war für mich, dass die alte Bärin, die immer auf Steinboden gelebt hatte, ganz natürlich reagierte, als sie zum ersten Mal eine Wiese sah», erzählt Wehrle. «Seit dem ersten Tag grast die Bärin wie eine Kuh.»
Hochintelligente Raubtiere
Die Haltung von Braunbären ist in puncto Futter wenig anspruchsvoll. Die Tiere sind Allesfresser. Weit schwieriger ist es, der Intelligenz der umtriebigen Raubtiere gerecht zu werden. Schnell entwickeln sie sinnlose Verhaltensmuster, sogenannte Stereotypien. «Im alten Gehege zeigten die Bären derartige Verhaltensstörungen», sagt Wehrle. Und auch die Bären in Servion verfallen immer wieder in gleichförmiges Auf-und-ab-Laufen, minutenlang, mehrmals täglich. In einer wissenschaftlichen Langzeitstudie prüft Wehrle nun, ob die Stereotypien im neuen Gehege verschwinden. Denn wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass manche Verhaltensstörungen für immer ins Gehirn von Zootieren eingebrannt sind. «Selbst wenn man sie in grössere Anlagen entlassen hat, liefen schwer gestörte Tiere weiter im Kreis», sagt Wehrle. Erste Anhaltspunkte sind erfreulich: Offenbar treten keine Stereotypien mehr auf. Stattdessen tauchen wieder mehr natürliche Verhaltensweisen auf. Die Bären bedecken Futterreste mit Tannenzweigen, bauen sich Nester und graben Höhlen. «Es ist nicht gesagt, dass sich die Tiere wirklich wohl fühlen, wenn sie keine Stereotypien mehr zeigen», sagt Hanno Würbel, Verhaltensforscher von der deutschen Universität Giessen. Denn Wohlbefinden und die Güte eines Geheges sind schwer messbar.
Verarmtes Gehirn
Gravierende Fehler in der Tierhaltung zeigen sich dagegen schnell. Sind die Tiere häufig krank, ziehen ihre Jungen nicht auf oder haben Verhaltensstörungen, hat man etwas falsch gemacht. Wenn aber, wie in Goldau, zusätzliche Verhaltensweisen aufträten, sei dies auf jeden Fall positiv. Altmodische Gehege ohne angereicherte Umgebung hingegen drängten die Vielfalt des Verhaltens zurück, so Würbel. Wächst ein Tier in einer eingeschränkten Umwelt auf, bleibt das Gehirn in seiner Entwicklung zurück und verarmt. Solche Tiere können sich dann an eine neue Anlage kaum mehr anpassen.
Unter den Raubtieren im Zoo rangiert der Braunbär im Mittelfeld bezüglich der Häufigkeit von Verhaltensstörungen. Der Löwe führt die traurige Liste an, dann folgt der Eisbär. Der weisse Riese pendelt mit dem Kopf oder dreht stumpf die immergleiche Runde. «In der Wildnis kämpft der Eisbär permanent ums Überleben in der denkbar härtesten Umwelt», sagt Würbel. Er leidet jedoch nicht darunter, sondern ist perfekt auf diesen Kampf eingestellt. «Diese Umwelt kann man dem Tier im Zoo schlicht nicht bieten.» Ein gemütliches Gehege bedeutet für den Eisbären daher keine Erholungsferien, sondern quälende Unterforderung. Manche modernen Zoos schliessen denn auch ihre Eisbär-Anlagen. In der Schweiz verzichtet man heute ganz darauf, Eisbären zu zeigen. Ihr kleiner Bruder, der Braunbär, liegt hingegen im Trend. In der Natur streift er nicht so unermüdlich und nervös durch seinen Lebensraum und verfügt als Allesfresser über ein entspannteres Gemüt. «In einem guten Gehege kann man Braunbären durchaus artgerecht beschäftigen», so der Verhaltensforscher. Bei einer Anlage wie dem neuen Bärenpark Bern erwarte er nicht, dass künftig Verhaltensstörungen bei den Bären aufträten.
Jahreszeiten im Zoo
Halten Bären im Tierpark einen Winterschlaf?
In der Wildnis ziehen sich Braunbären derzeit für eine sogenannte Winterruhe zurück. Dabei handelt es sich nicht um einen echten Winterschlaf, denn die Tiere sind leicht aufzuwecken. Herzschlag, Atmung und Körpertemperatur werden aber bis zum Frühling zurückgefahren, und der Bär zehrt von seinen Fettreserven. «Unsere Bären haben sich einen guten Vorrat angefressen», sagt Marc Rosset vom Tierpark Dählhölzli. Theoretisch sei es denkbar, dass die beiden Exemplare im neuen Bärengraben eine Winterruhe machten. «Sie sind bereits träger als sonst und schlafen tagsüber mehr», so der Kurator. Im Tierpark Goldau ahmt man die Nahrungsknappheit in der winterlichen Natur nach und drosselt die Fütterung. «Es würde mich nicht überraschen, wenn unsere Bären Höhlen graben und schlafen gehen», sagt Martin Wehrle. Allerdings sei die Winterruhe der Bären nicht zwingend nötig für die Gesundheit der Tiere.
Anders als bei Igeln und Siebenschläfern, die einen echten Winterschlaf brauchen, kann der Bär auch ohne Winterruhe auskommen. «Das kommt auch in der Natur vor», sagt der Tierarzt. Aufgrund des Klimawandels verzichteten wilde Bären in Slowenien immer häufiger auf die Ruhezeit. (six.)
Buchtipp: M. Höneisen, J. Schoenenberger, Y. Andrea: Der Braunbär. Die Rückkehr der Grossraubtiere. Haupt-Verlag, Bern, Stuttgart, Wien 2009. 232 Seiten, Fr. 49.–.
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Kommentare lesen
Daniel Hofer (9. November 2009, 19:04)
Steiles Gelände ist kein Problem
Wie man in Dokumentarfilmen immer wieder zeigt, leben gerade die europäischen Bären oft im Steilgelände - ja im Hochsommer klettern Braunbären selbst auf höchste Gipfel, wenn da noch einwenig Gras wächst. Die Haltung der Bären im Berner Bärenpark entspricht topografisch der Natur.
alexandra weber (9. November 2009, 08:47)
Berner Bären-Gehege ist wohl teuer
doch für Bären nicht sehr geeignet. Die Bären haben draussen KEINEN Deckungsraum (Bäume, Gebüsche etc.) zudem denke ich, dass das gesamte Gelände praktisch *Steilhang* ist. Ob das artgerecht ist???? Tierpark Langenberg in ZH ist ideal, auch Goldau ist perfekt für Bären. Doch für 24 Mio da ist wohl nur der Bodenpreis hoch, für die Bärchen einfach nicht ideal da zu steiles Gelände. aw
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