Die Heringe, die rechts und links an ihm vorbei Richtung Boden stürzen, würdigt der hoch aufgerichtete Felix keines Blickes. „Er hat das Brot gesehen, das interessiert ihn jetzt mehr“, sagt Tierpfleger Thorsten Krist, der an der Brüstung des Eisbärengeheges steht und weiteren Fisch an Felix vorbei in dessen Revier wirft. „Brot mag er derzeit besonders gerne. Er weiß ja, dass er die Fische immer noch fressen kann. Ein Eisbär ist so ein dominantes Tier, dem nimmt niemand etwas weg“, meint Krist schmunzelnd. Schließlich erbarmt sich der 39-jährige Revierleiter des Aquaparks und lässt den Laib nach unten gleiten. Felix macht es sich auf der Wiese gemütlich und knabbert am Gebäck.
Mit den beiden Babys, die im Dezember im Tiergarten geboren wurden, hat er nichts mehr zu tun. „Bei Eisbären passt der Begriff ,Vater‘ nicht, denn sie haben keine Vaterpflichten. Ich spreche daher lieber von ,Erzeugern‘“, sagt der stellvertretende Tiergarten-Direktor Helmut Mägdefrau. Und so kann sich der Erzeuger die Sonne auf den Pelz scheinen lassen, während seine langjährige Weggefährtin Vera wesentlich mehr Arbeit hat – sie säugt nämlich gerade eines der Eisbärenbabys, während das andere schon ungeduldig schreit.
Jedenfalls sind entsprechende Töne über einen Lautsprecher zu hören, den Krist in der unterirdischen Kabine anstellt, von der aus die Tierpfleger die mit Kameras und Mikrophonen ausgestattete Wurfhöhle beobachten. Sechs Wochen lang nach der Geburt der Jungtiere bekamen die Pfleger nur über die Kameras mit, was in Veras abgeschlossenem Stall vonstatten ging, jede Annäherung, vor allem laute Geräusche, hätten gravierende Folgen haben können: „Wenn Eisbären sich in der Wurfhöhle nicht mehr sicher fühlen, wollen sie woanders hin und fangen an, ihre Babys herumzutragen. Wir können Vera aber keine Ersatzhöhle anbieten“, sagt Krist. Im schlimmsten Fall komme es auch vor, dass Eisbären ihren Nachwuchs in so einer Situation auffressen. Doch diese kritische Phase ist überwunden. Sowohl Krist als auch Mägdefrau sind nun sehr optimistisch, dass die Bärenbabys durchkommen. „Passieren kann natürlich immer etwas“, sagt der Tiergarten-Vizechef.
Inzwischen dürfen zumindest die sechs im Aquapark beschäftigten Tierpfleger sowie Mägdefrau sich den Stall über den Bedienungsgang nähern. „Uns kennt sie. Eisbären sind sehr sensible Tiere, es ist schon wichtig, dass niemand Fremdes kommt. Wir bringen auch immer Futter mit, damit wir nicht als Eindringlinge wahrgenommen werden“, berichtet Krist. In den nächsten Tagen werden die Pfleger – mit Petra Fritz und Steffi Krüger sind auch zwei der vier Experten im Team, die schon Flocke großgezogen haben – den Nachwuchs erstmals in die Hand nehmen, um die Geschlechter festzustellen und die Tiere zu impfen.
Und irgendwann – vermutlich noch im März – wird jener Tag kommen, den Krist als „Tag X“ beschreibt: Nämlich der Tag, an dem die Pfleger den Stall öffnen und Vera erstmals gemeinsam mit den Jungtieren ins Freie spaziert. „Den Zeitpunkt gibt die Mutter vor“, sagt Mägdefrau. „Wenn sie Rabatz macht, darf sie raus.“ Die Pfleger werden dann kurz vorher Veras Gehege – das von den Besuchern her gesehen auf der linken Seite liegt – babytauglich machen. Die steilen Klippen werden abgepolstert, der Wasserstand im Schwimmbecken etwas angehoben. „Eisbärenbabys sind gute Schwimmer, aber wir wollen es ihnen leichter machen, wieder aus dem Wasser herauszukommen“, sagt Krist.
Ihrem Papa dürfen die Kleinen nicht begegnen, der bleibt durch einen Schieber getrennt im anderen Gehege – für ihn wären die Jungtiere lediglich ein Appetithappen, er hat keine Bindung zu dem Nachwuchs. Wenn es keine Komplikationen gibt, wird Vera ihre beiden Tierkinder gut zwei Jahre im Tiergarten großziehen. Auf lange Sicht soll sie dafür in das größere Gehege umziehen, das derzeit Felix bewohnt. Er wird darauf trainiert, in eine Kiste zu steigen, mit der die Pfleger ihn dann in Veras bisheriges Revier transportieren.
Lieber wäre es Mägdefrau indes, wenn er den zehnjährigen Felix an einen anderen Zoo abgeben könnte. Für den Flocke-Vater, der in Wien geboren wurde und über Karlsruhe im Jahr 2004 in den damals neu eröffneten Aquapark kam, wäre es nicht der erste Umzug. Schon zweimal hatte der Nürnberger Tiergarten den Eisbären ausgeliehen, nach Gelsenkirchen sowie ins dänische Aalborg, und überall hat sich „Gentleman“ (Mägdefrau) Felix mit den Weibchen gut verstanden. „Er ist ein extrem umgänglicher Knabe“, sagt Mägdefrau – bei Eisbären, die von Natur aus Einzelgänger sind, keine Selbstverständlichkeit. Da auch die Zucht mit ihm gut funktioniert – in Aalborg wächst derzeit ebenfalls ein Baby heran, das auf Felix’ Konto geht – hofft Mägdefrau, dass sich noch ein Zoo findet, der Felix aufnimmt. Bis dahin lässt sich der umgängliche Bärenmann Brot und Fisch eben in Nürnberg schmecken.