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Das Nürnberger Eisbären-Baby wird mit der Flasche aufgepäppelt

Die schwere Entscheidung im Tiergarten - 08.01.08

Nürnberg  - Der Tiergarten hat sich entgegen bisherigen Überlegungen zur Handaufzucht des dritten Eisbären-Nachwuchses entschlossen und das Neugeborene von seiner Mutter getrennt.


Der Tiergarten hat sich entgegen bisherigen Überlegungen zur Handaufzucht des dritten Eisbären-Nachwuchses entschlossen und das Neugeborene von seiner Mutter getrennt.
Der Tiergarten hat sich entgegen bisherigen Überlegungen zur Handaufzucht des dritten Eisbären-Nachwuchses entschlossen und das Neugeborene von seiner Mutter getrennt.
Foto: dpa

Am Dienstagmittag lief Vera mit ihrem Baby im Maul unruhig im Gehege herum und suchte offensichtlich einen neuen Platz. Sie versuchte, das Kleine im Heu zu verbuddeln oder irgendeine geschützte Ecke zu finden. Das Raubtier wirkte irritiert. Auslöser ist möglicherweise ein Fernseh-Team, das Aufnahmen jenseits der Absperrung gemacht hat. Der Tiergarten hatte am Gehege ein Gitter aufgestellt, um Störungen der Mutter-Kind-Beziehung durch Passanten zu vermeiden. «Der Film wurden im absolut verbotenen Bereich gedreht, das macht uns wütend«, meint Tiergarten-Direktor Dag Encke.

Verhalten der Mutter machte Sorgen

Die Verantwortlichen entschlossen sich schweren Herzens kurzfristig zur Handaufzucht, weil das Verhalten der Mutter nun zur Sorge Anlass gab. Tags zuvor hatte die zweite Eisbären-Mutter Vilma ihre beiden Jungen aufgefressen. Möglicherweise waren sie nicht gesund gewesen, vermuten die Verantwortlichen des Tiergartens als Ursache. Dieses Verhalten kenne man in freier Wildbahn.

Dienstagmittag trennte man das Kleine vom Muttertier: Das Baby blieb in der Höhle, die Mutter strich im Freigehege herum. Immer wieder kehrte «Vera« zum vergitterten Eingang zurück, um nach ihrem Nachwuchs zu schauen und zu rufen. «Man könnte heulen, wenn man sieht, dass die Mutter die Aufzucht bisher perfekt hinbekommen hat und wir jetzt doch aufgeben müssen«, bekannte Encke. Für eine Erstgebärende habe sie sich optimal in die Mutterrolle hineingelebt. Es kommt nämlich auch oft vor, dass die Raubtiere erst lernen müssen, mit dem Nachwuchs umzugehen. Die Gefahr ist groß, dass das erste Junge dabei ums Leben kommt.

Geschlecht noch unklar

Das einen Monat alte Junge von «Vera« , dessen Geschlecht noch nicht bestimmt ist, wurde Dienstagabend von der Wurfbox des Geheges zur Tierarztpraxis des Betriebshofs gebracht. Dort soll es während der nächsten drei Tage medizinisch untersucht werden, um den Gesundheitszustand eingehend zu überprüfen.

Nach Aussagen des Zoologen Helmut Mägdefrau macht das Jungtier einen «sehr properen, fitten Eindruck«. Allerdings will er keine Prognose abgeben, dass es problemlos überlebt. Der Mini-Bär kann derzeit nicht laufen, sondern erst ein wenig robben. Die Augen sind fast geschlossen: Es dauert noch eine Weile, bis das Raubtier sehen kann. Einige der acht Pfleger des Eisbären-Bereich sollen die Handaufzucht mit Milch übernehmen. Im Gegensatz zu Berlins «Knut« überträgt man die Aufgabe keinem einzelnen Mitarbeiter, um das Tier nicht zu stark auf eine einzige Bezugsperson zu prägen.

Mit dem Amsterdamer Zoo abgestimmt

Ursprünglich wollte der Tiergarten eine Handaufzucht unbedingt vermeiden und den Säugling bei seiner Mutter belassen. In dieser Haltung stimmen die modernen Zoos überein. Das Vorgehen hatten die Nürnberger auch mit dem Amsterdamer Zoo abgestimmt, der das Zuchtbuch für Eisbären beim Europäischen Erhaltungszuchtprogramm (EEP) führt. «Die Niederländer haben uns ausdrücklich in der Naturaufzucht bestärkt«, betont Mägdefrau, «wir hatten auch vereinbart, sechs bis acht Wochen nicht den Stall zu betreten, denn Störungen können fatal enden.« Jeder Tag Naturaufzucht sei wichtig.

Das EEP will dazu beitragen, den Bestand gefährdeter Tierarten zu sichern. Es koordiniert auch, welche Tiere in zoologischen Einrichtungen zusammen gehalten werden und welche nicht - um Inzucht zu vermeiden.

Enormes Medienecho

Vor dem Eisbären-Gehege versuchten gestern übrigens nicht mehr Besucher als gewöhnlich, einen Blick auf das einen Monat alte Knäuel zu erhaschen. Das Medienecho war dagegen enorm: Allein am Vormittag musste Tiergarten-Chef Encke acht Hörfunk-Interviews geben, am Haupteingang postierten sich TV-Teams verschiedener Sender, Journalisten warteten den Tag über auf neue Nachrichten.

Bei einem Pressegespräch heute Mittag informieren Bürgermeister Horst Förther und die Tiergarten-Leitung über das weitere Vorgehen. Vor 40 Jahren hatte man bei derartigen Gelegenheiten das «corpus delicti« mitgebracht, wie historische Fotoaufnahmen des Archivs der Nürnberger Nachrichten belegen: Ein Pfleger hielt das Bärchen im Nacken fest und streckte es dem damaligen Stadtoberhaupt entgegen. Von einer derartigen Zurschaustellung ist man glücklicherweise seit langem abgekommen.

Was meinen Sie: sollen die Eisbären-Babies im Tiergarten der Öffentlichkeit gezeigt werden oder lieber im Verborgenen bleiben? Diskutieren Sie mit in unserem Online-Forum! Unter forum.nn-online.de können Sie uns Ihre Meinung sagen. 





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Kurzbeschreibung:
In einem weitläufigen Gelände mit Wald, Wiesen, Weihern und Sandsteinfelsen liegt der Nürnberger Tiergarten. Er gilt als einer der schönsten deutschen Landschaftszoos. Das Delfinarium und der Neubau einer Delfin-Lagune (siehe extra Themenarchiv!) sind allerdings umstritten.