netzeitung.deThermobär Knut

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Auch blaue Eisbären sind eigentlich schwarz ... (Foto: Thermografie Institut Berlin<br/>Quelle: NZ Netzeitung GmbH)

Lupe Auch blaue Eisbären sind eigentlich schwarz ...
Foto: Thermografie Institut Berlin
Quelle: NZ Netzeitung GmbH

Thomas Zimmermann untersucht mit seiner Infrarot-Kamera nicht nur den Promi-Eisbären, auch über ganz normale Menschen findet er viel heraus. Sabine Pamperrien sprach mit dem Thermografie-Spezialisten.

Der gelernte Bauphysiker und Werkstoffprüfer Thomas Zimmermann hat sich auf Infrarot-Thermografie spezialisiert. Seit Jahren experimentiert Zimmermann mit Tierthermografie. Inzwischen gilt er mit dem von ihm entworfenen Auswertungsverfahren international als Koryphäe. In Deutschland hat sich die Thermografie als Hilfswissenschaft der Medizin allerdings noch nicht durchsetzen können.

Doch jetzt kommt Knut. Seit sechs Wochen arbeitet Zimmermann mit dem Berliner Zoo zusammen. Es begann mit der Erforschung der Temperaturregulierung des neugeborenen Zwergflusspferds Paul. Inzwischen dokumentiert er auch die Entwicklung des Phänomens Eisbär. Gerade wurden erste Bilder bei einem wissenschaftlichen Vortrag der Öffentlichkeit vorgestellt.

Netzeitung.de: Wie ist Knut denn so?

Thomas Zimmermann: Total zutraulich und verspielt. Und verliebt in meine Jeans, die er auch schon probiert hat.

Netzeitung.de: Warum ist Knut auf den Thermografien so blau?

Zimmermann: Ihm ist schön kühl. Das Bild entstand bei 37 Grad. Er ist gut isoliert.

Netzeitung.de: Ich dachte, ein Eisbär würde in der Hitze leiden.

Zimmermann: Knut verfügt über ein perfektes Temperaturregulierungssystem. Die Hauptvoraussetzung dieses Systems ist übrigens, dass Knut schwarz ist.

Netzeitung.de: Schwarz?

Zimmermann: Ja, Eisbären sind immer rabenschwarz. Was man an Augen, Nase und Krallen sieht, setzt sich bei der Haut fort. Schwarz reflektiert Wärmestrahlung bekanntlich sehr stark. Die hohlen weißen Haare der Eisbären wirken wie Lichtleiter in Richtung Körper. Die Luft in den Haaren bewirkt, dass die Wärme nicht vom Körper abgestrahlt wird. Isolierung durch Luft.

Netzeitung.de: Klar! Wie entstand eigentlich die Zusammenarbeit mit dem Berliner Zoo?

Zimmermann: Ich arbeite mit dem Humanbiologen Carsten Niemitz von der FU zusammen. Eigentlich ging es aktuell um eine Pilotstudie zur Frage, ob per Thermografie nachweisbar ist, ob Männer tatsächlich eine Neigung zu dicken Bäuchen und Frauen zu dicken Hintern haben.

Netzeitung.de: Das klingt eher wie ein Gag.

Zimmermann: Ist es aber nicht. Im Fachjargon heißt die Studie «Verteilung der Körperoberflächentemperatur unter Einbeziehung des Unterhautfettes». Um die Möglichkeiten der Thermografie zu erforschen, benötigen wir Versuchsanordnungen. Schließlich sollen Standards entwickelt werden. Was daraus entstehen soll, sind unter anderem Modi für Reihenuntersuchungen. Die Infrarot-Thermografie ist auch als minimal-invasiver Ersatz für die bisherige Mammographie denkbar. Was Thermografie kann, lässt sich vielleicht am anschaulichsten daran beschreiben, dass wir zehn der 120 Probanden gleich weiter zum Arzt schicken mussten. Zwei litten an Thrombosen, einer an Venenentzündung. Die Knie von Thomas Dörflein sehen auch nicht so gut aus.

Netzeitung.de: Haben sie ihn auch mit der Infrarotkamera aufgenommen?

Zimmermann: Er hat mich darum gebeten. Und kaum hatte ich gesagt: «Klar, das mache ich!» hatte er schon die Hosen ausgezogen. Das klingt jetzt witzig. Ich will Ihnen damit aber nur zeigen, wie schnell und ohne jegliche Einwirkung auf den Körper Befunde möglich sind. Mit der Thermografie lassen sich akute Erkrankungen im Bereich Sehnen, Bänder und Gelenke in der Früherkennungsphase diagnostizieren.

Netzeitung.de: Was hat er denn an den Knien?

Zimmermann: Ich bin kein Arzt! Ich arbeite eng mit Ärzten zusammen! Ich stelle die Bilder her und optimiere sie für die ärztliche Diagnose! Natürlich lerne ich dabei krankhafte von nicht-krankhaften Prozessen zu unterscheiden. Aber ich werde mich hüten, selbst Befunde zu erstellen. Meine Arbeit besteht darin, die Bilder mit Hilfe der Software und der Erkenntnisse, die wir aus Reihenuntersuchungen gewonnen haben, durch Herausrechnen der natürlichen Abweichungen überhaupt lesbar zu machen. Ich optimiere Datensätze.

Netzeitung.de: Was ist eine natürliche Abweichung?

Zimmermann: Ich sage Ihnen ein Beispiel: gemeinsam mit dem Tierarzt Martin Grell, der das deutsche Distanzreiter-Team betreut, habe ich etwa 30.000 Datensätze von Pferden ausgewertet. Dabei haben wir festgestellt, dass es z.B. völlig normal sein kann, dass ein Pferdebein weniger gut durchblutet ist als die anderen. Pferde besitzen die Fähigkeit, Beinarterien zu schließen. Wollen wir also herausfinden, ob wir es mit einer normalen Erscheinung zu tun haben oder einem krankhaften Zustand, muss aus dem Datensatz des Probanden zunächst die statistisch nachgewiesene natürliche Abweichung herausgerechnet werden. Das ist eine ganz einfache Formel. Hinzu kommt, dass schon bei der Aufnahme zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen sind, die die Aussagekraft der Thermografie verzerren können. Da kann man nicht einfach draufhalten.

Netzeitung.de: Macht das jemand?

Zimmermann: Mit der Infrarot-Technik wird viel Humbug betrieben. Ich arbeite sehr viel mit Veterinärmedizinern zusammen. Im Pferdesport geistern diverse sogenannte Experten herum, die einfach eine Infrarot-Kamera hernehmen, ein Bild aufnehmen und jede rote Unregelmäßigkeit für krankhaft befinden. Meist sind die Bilder völlig unscharf und ohne jegliche Aussagekraft. Leider gibt es noch keine standardisierte Ausbildung und keinerlei Pflicht, zumindest die entsprechende Euro-Norm einzuhalten. Das Verfahren, mit dem wir arbeiten, ist so ausgereift, dass wir z.B. am Pferdebein punktgenau Sehnenverletzungen abbilden können. Ich glaube schon, behaupten zu können, dass wie hinsichtlich der Genauigkeit weltweit konkurrenzfähig sind.

Netzeitung.de: Ist die Thermografie als medizinische Hilfswissenschaft anerkannt?

Zimmermann: In Deutschland nicht wirklich. Es gibt auch keine entsprechenden Studiengänge. Selbst an deutschen Hochschulen gibt es kaum Wissenschaftler, die die technischen Möglichkeiten ausschöpfen, obwohl sie daran und damit forschen. Und dies ausschließlich, weil sie Defizite in Informatik und Physik nicht ausgleichen. Ohne dezidierte Kenntnisse in diesen Disziplinen bleiben die Nutzer eigentlich Amateure. In Österreich und der Schweiz gibt es längst Studiengänge für medizinische Informatik und medizinische Physik. Ich stehe mit den Hochschulen dort in ständigem Kontakt. Wir könnten in Deutschland schon viel weiter sein. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass die Methode in Deutschland erfunden wurde.

Netzeitung.de: Nicht in den USA? Dort ist die Methode doch sehr populär?

Zimmermann: Nein. Anfang der 60er Jahre an der TU in Dresden. Aber dort war man zu blöd, den Wert der Erfindung zu erkennen. Irgendwann in den 70ern, glaube ich, wurde das Patent an Amerikaner verhökert. Die produzieren nun in Frankreich.

Netzeitung.de: Jetzt bewegt sich aber doch auch hier etwas?

Zimmermann: Natürlich. Zum Beispiel durch kreative Köpfe wie Carsten Niemitz. Wollten wir nicht über meine Arbeit im Zoo sprechen? Er hatte auch die Idee mit Paul. Von Flusspferden ist bekannt, dass sie ihre Körpertemperatur unter anderem durch ein Drüsensekret regulieren. Das hat Niemitz einfach interessiert. Vom Tag der Geburt an sollte nun die Entwicklung dieses Systems dokumentiert werden. Das ist uns auch hervorragend gelungen. Inzwischen habe ich diverse Wildtiere im Zoo aufgenommen und werde zu unklaren Befunden gerufen. Den Tieren bleiben der Stress des Einfangens oder der Betäubung erspart. Ist das Okapi trächtig oder leidet es an Bauchwassersucht, warum ist das Flusspferd so ungnädig.

Netzeitung.de: Und?

Zimmermann: Das Okapi-Kalb ist da. Das Flusspferd hatte Zahnprobleme.

Netzeitung.de: Sehen Sie die Welt nur noch in Infrarot-Bildern?

Zimmermann: Nein! Gerade bei der Arbeit im Zoo macht es mir wahnsinnigen Spaß, die Tiere einfach so zu beobachten. Es gibt unglaublich beglückende Momente durch die Tiere selbst. Knut will mit mir spielen! Irgendwann fragte der Pfleger der Zwergkängurus, ob ich nicht versuchen könnte, heraus zu finden, ob ein Tier trächtig ist. Alle meinten, dass es mir eh nicht gelingen wird, die scheuen Dauerhüpfer aufzunehmen. Ich habe mich einfach hingehockt und mich für sie klein gemacht. Und plötzlich kommen sie alle angehüpft und wollen mich kennen lernen! Tolle Bilder sind dabei gelungen. Ein Aspekt der Infrarotaufnahmen ist, dass ich neben all den diagnostischen oder statistischen Zwecken Material für wunderschöne Portraits erhalte. Die Farbgebungsmöglichkeiten sind ja keinesfalls auf schrille Farben beschränkt. Manchmal bearbeite ich eine Aufnahme nur, um etwas Schönes zu produzieren.