Zur Navigation Zum Artikel

Wenn Sie sich diesen Artikel vorlesen lassen wollen benutzen Sie den Accesskey + v, zum beenden können Sie den Accesskey + z benutzen.

04. September 2010 19:38 Uhr

Tierschutz

Ein Tierschutzprojekt, kein Zoo: Der Bär ist los im Schwarzwald

Im Schwarzwald möchte ein neuer Park sogenannten Problembären eine bessere Heimat bieten. Die Mutter von Bruno ist schon eingezogen.

  1. Braunbärin Jurka. Foto: dpa

Die Dame steht gern im Rampenlicht. Kokett blickt Jurka über die Schulter, dreht sich ein Stück um die eigene Achse, kommt unbeholfen vor den Fotografen zu sitzen und hält mit geschlossenen Augen die Schnauze in die Sonne. Rotbraun glänzt ihr dickes Fell. Klick.

Rüdiger Schmiedel strahlt, Jurka hat einen guten Tag. "Das hätten wir nicht gedacht, dass sie so ruhig bleibt", sagt er und freut sich erst, dann schaut er ein bisschen betreten drein. Zwischen Jurka und den Fotografen verläuft ein hoher Zaun. "Eigentlich pervers", sagt Schmiedel, "dass wir die Tiere wieder einsperren müssen."

Schmiedel ist Tierschützer vom Dienst, Geschäftsführer der Stiftung für Bären, die am Samstag den Alternativen Wolf- und Bärenpark in Bad Rippoldsau-Schapbach eröffnet hat. Jurka ist die erste Bewohnerin – und eine ganz besondere dazu. Weil sie erstens, sagt Schmiedel, stellvertretend steht für all die Fehler, die Menschen im Umgang mit Wildtieren machen. Und zweitens ist Jurka die Mutter von Bruno – für den die Bezeichnung "Problembär" geschaffen wurde, weil er vor vier Jahren aus Italien eingewandert und durch deutsche Wälder gestreift war, ehe ihm am 26. Juni 2006 nahe einer bayrischen Alm zwei Kugeln aus dem Gewehr eines Jägers Lunge und Leber zerfetzten. Weil er sich zu nahe an den Menschen herangewagt hatte, war er zum Abschuss freigegeben worden. Bruno starb, weil er falsch erzogen worden war von Jurka. Aber Schuld, sagt Schmiedel, sei der Mensch.

Werbung


Schmiedel ist 56 Jahre alt, ein Mann vom Typ Ranger, in Waldfarben gekleidet und gut gelaunt. Auf dem Gürtel trägt er das Bild eines Bären und auf dem Gesicht das Lächeln eines Menschen, den auch der hartnäckigste Widerstand nicht vom Glauben abbringen kann. Er ist ein Mann, der im Steinbruch der Eltern aufgewachsen ist, sich aber immer mehr Sorgen um die heimatlos gewordenen Füchse als ums Geschäft gemacht hat. Ein Mann, der Wiedergutmachung will. "Ich möchte reparieren, was wir Menschen kaputt gemacht haben", sagt er.

Jurka ist ein Beispiel dafür. In Slowenien als Wildbär geboren, fütterten Hoteliers sie schon früh an, um mit ihrem Anblick Gäste anzulocken. Jurka lernte rasch, dass die Nähe von Menschen Futter verhieß – eine fatale Lektion. 2001 wurde sie ins italienische Trentino umgesiedelt, um dort die magere Wildbär-Population aufzupäppeln, und erstmal machte sie ihre Sache gut. Fünf Kinder zeugte sie, die nach den Initialen der Eltern Joze und Jurka JJ1 bis JJ5 genannt wurden, die aber alle das Problem der Mutter teilten: mangelnde Menschenscheu.

Die Geschichte von JJ1, den die Medien bald liebevoll Bruno tauften und der heute ausgestopft in einem Münchner Museum steht, ist bekannt. JJ3 ereilte ein ähnliches Schicksal, nachdem man ihn beim Plündern eidgenössischer Mülltonnen erwischt hatte – er wurde im April 2008 in der Schweiz erlegt. Ein weiterer umtriebiger Bruder, JJ2, ist seit 2005 verschollen. Jurka selbst wurde eingefangen, sterilisiert und musste die zurückliegenden Jahre in Italien auf engem Raum verbringen. Sieben Hektar hat sie nun in Schapbach – erstmal nur für sich, bis Ende des Jahres drei ehemalige Zirkusbären dazustoßen sollen, die ihr Dasein momentan in einer Lkw-Garage in Hessen fristen.

Heute führt Schmiedel Jurka das erste Mal der Öffentlichkeit vor. 14 Jahre alt ist sie, ein gewöhnlicher mitteleuropäischer Braunbär, aufgerichtet zwei Meter dreißig groß. Und wie immer, wenn Menschen auf Bären treffen, ist die Reaktion zwiegespalten. "Ooooch", stößt eine Besucherin bei Jurkas Anblick langgezogen aus und bekommt einen weichen Blick dabei, "huh" sagt dagegen ihre Nachbarin und befühlt misstrauisch die Maschen im Zaun: "Das ist ja wie Jurassic Park!" Putzig sind sie, denkt der Mensch. Aber ganz schön gefährlich, wenn erst einmal losgelassen.

Auch deshalb musste Schmiedel kämpfen, um sein Projekt zu verwirklichen. Mehr als 200 Jahre ist es her, dass die letzten einheimischen Bären durch den Schwarzwald zogen, überlebt haben nur die unzähligen Bären-Gasthausschilder. Ursprünglich war das Gehege in der Gemeinde Pfalzgrafenweiler im Landkreis Freudenstadt geplant – aber dort wollten die Leute keine Bären, die vielleicht ausbrechen und Spaziergänger anfallen könnten. "Dabei haben die Tiere genauso viel Angst wie wir", sagt Schmiedel. "Blick senken und in die Hocke gehen – dann passiert nichts." Alles eine Frage des Respekts, dann komme man wunderbar miteinander aus.

Das sahen sie auch in Schapbach so. Schapbach, 2000 Einwohner, kein Horizont in Sicht, liegt ein paar Kilometer südwestlich von Freudenstadt am Südhang des Kniebis in einem tiefen Tal und ist verschuldet. Schapbach hat nicht viel, aber Schapbach hat viel Wald. Und Schapbach hat auch wieder Hoffnung, seit Schmiedels Stiftung sieben Hektar dieses Waldes gekauft hat. Bären bringen Touristen. 80 000 im Jahr, wie Schmiedel hofft – wenn der Park irgendwann fertig wird.

Momentan ist der Schutzzaun, 2,5 Meter hoch und 1,7 Kilometer lang, das einzige, was steht. Der Rest ist Baustelle: Vereinzelt stehen Bagger herum, dazu Gerüste, die einmal zu Häuschen werden und Kiosk und Toiletten beherbergen sollen. Große Schlammspuren ziehen sich den Hang hinauf, wo die Rundwege verlaufen und Besucher ins wahre Leben der wilden Tiere hineinspähen sollen. Die werden hier so verhaltensgerecht wie möglich gehalten, mit viel Platz, um sich Reviere einzuteilen und sich nur dann zu zeigen, wenn ihnen selbst danach ist.

"Wir sind ein Tierschutzprojekt, kein Zoo", betont Schmiedel. Ihm gehe es nicht darum, die Tiere zur Schau zu stellen, sondern den ausrangierten Showbären, den "Wegwerf-Bären", wie er sie nennt, eine bessere Heimat zu bieten und außerdem die Besucher für ihre Schicksale zu sensibilisieren. Die kleinen Bären, Braunbären zumeist, aber auch asiatische Kragenbären oder nordamerikanische Schwarzbären, werden von klein auf vom Menschen aufgezogen und abhängig gemacht. Sie leben gegen ihre Natur, ohne Bäume, ohne Winterschlaf, in engen Zirkuswagen oder privaten Verschlägen – Bedingungen, die Schmiedel "staatlich legitimierte Tierquälerei" nennt. Nur 12 bis 24 Quadratmeter sind in Deutschland vorgeschrieben, zu wenig für den Bewegungsdrang eines Bären, der in freier Wildbahn in einem Sommer von Trento nach Bayern wandern kann.

Schmiedel hat das Projekt durchgesetzt – gegen die Behörden, die seine Anträge verschleppt haben, und das Regierungspräsidium, das fünf Jahre brauchte, um ihm den Zuwendungsbescheid für 450 000 Euro von EU und Land zu bewilligen. Bisher hat der Park 1,2 Millionen gekostet, das meiste hat die Stiftung durch Spenden und Zuwendungen aufgebracht. Auch die Schapbacher selbst haben mit angepackt, 677 Ehrenamtliche, sagt Schmiedel, haben ihm geholfen.

Und trotzdem melden sich immer wieder kritische Stimmen zu Wort. Immer wieder hört Schmiedel den Vorwurf, das Geld könne doch besser eingesetzt werden, für Bildungseinrichtungen, für Kindergartenplätze. Der Bund der Steuerzahler führt den Bärenpark als Beispiel für die Verschwendung öffentlicher Gelder an.

Schmiedel lächelt milde. Er ist es gewohnt, dass die Leute ihn nicht verstehen und dass er einen etwas anderen Blick auf die Dinge hat. Als 1989 die Mauer fiel und alle an der Einheit bastelten, begab der Thüringer sich auf eine eigene Mission: 1000 ehemalige Wachhunde vermitteln, die ihren Arbeitsplatz an der innerdeutschen Grenze verloren hatten.

Jetzt aber geht es erst mal darum, den Bärenpark aufzubauen und bekannt zu machen, damit er sich irgendwann selbst tragen kann. Jurka soll dabei für die nötige Aufmerksamkeit sorgen. "Wenn die Leute hören: ein Bär, dann sagen sie, na schön, na und?", sagt Schmiedel. "Aber wenn wir sagen: die Mutter vom Bruno. Dann ist die Aufregung plötzlich groß."

Die Bärin selbst gibt sich unkapriziös. Sie gähnt und schnappt nach Birnen und Trauben, die ihr zugeworfen werden. Noch ist sie im Vorgehege und wird mit Leckerli verwöhnt, aber damit sei bald Schluss, sagt Schmiedel streng, und schaut dabei, als müsse er der eigenen Tochter die Schokolade verbieten. Zwar bekommt Jurka im Gehege Fleisch, das die Mitarbeiter in großen Tiefkühltruhen aufbewahren. Aber um Beeren und Pflanzen muss sie sich dann selbst bemühen. Noch ist es aber nicht soweit. Jurka hat die Pranken schützend um das Obst geschlungen, blickt träge durch den Zaun und kaut. Die Wildnis hat so ihre Vor- und Nachteile.

Weitere Informationen zum Bärenpark Schwarzwald gibt es im Internet unter www.baer.de. Der Eintritt beträgt 2 Euro.

Autor: Carina Braun


0 Kommentare

Damit Sie Artikel auf badische-zeitung.de kommentieren können, müssen Sie sich bitte einmalig bei Meine BZ registrieren. Bitte beachten Sie unsere Diskussionsregeln, die Netiquette.



Weitere Artikel: Südwest