Stuttgarter Zeitung online | Zeitungsgruppe Stuttgart |  Donnerstag, 29. September 2011

Stuttgart & Region


Peta-Aktivist

Der Zoo-Rebell zwickt die Wilhelma ins Fell

Erik Raidt, veröffentlicht am 11.05.2009
Foto: Honzera

Stuttgart - Ein Eisbär wird zur Geheimsache: Die Wilhelma schweigt sich darüber aus, an welchem Tag im Mai Wilbär nach Schweden transportiert wird. Der Zoo fürchtet den Rummel - und einen Tierschützer namens Frank Albrecht.


  Von Erik Raidt

 
Nur wenige Besucher kommen so oft in die Wilhelma wie er. Und wohl auf keinen anderen Gast würde der Stuttgarter Zoo so gerne verzichten. Frank Albrecht, 40, setzt sich für die Rechte von Tieren ein. Die Wilhelma tut dies aus ihrer Sicht auch. Das Problem ist nur: die beiden Sichtweisen harmonieren so gut miteinander wie Katz und Maus. Albrecht kämpft aufseiten der umstrittenen Tierrechtsorganisation Peta, die mit schockierenden Fotos und markigen Sprüchen von sich reden macht. Er sieht im Zoo eine "Lagerstätte, in der Tiere lebenslang inhaftiert werden". Dass die Wilhelma dem widerspricht, versteht sich von selbst. Sie redet lieber von einer artgerechten Haltung. Von Tieren, die auch in Käfigen glücklich sind.

Zeichen von Verhaltensstörungen

Albrecht ist für die Zoologen ein rotes Tuch. Mindestens alle zwei Wochen macht sich der Tierschützer mit Videokamera und Fotoapparat auf in den Zoo. Er filmt Flusspferde, Affen und Tiger - ihm geht es jedoch nicht um putzige Bilder von Tierbabys, er sucht nach Beweisen. Er filmt Pinguine, die im Kreis schwimmen, und spricht von "Verhaltensstörungen". Er erfährt von einem Pavian, der Jungtiere getötet haben soll - und spricht von "Ermordung, wie sie nur bei Zootieren" vorkomme. Seit einem Jahr steht er jedoch die allermeiste Zeit mit seiner Videokamera vor der Eisbärenanlage.

Seitdem tobt eine Schlacht um die Deutungshoheit. Dabei geht es um den vor knapp anderthalb Jahren hier geborenen Wilbär. Seit der Geburt von Knut im Berliner Zoo stehen kleine Eisbären unangefochten auf Platz eins bei den Besuchern. Die Wilhelma beschreibt seitdem eine Bilderbuchgeschichte: Wilbär wurde von seiner Mutter Corinna aufgezogen, er blieb gesund und wuchs zu einem stattlichen Eisbären-Teenager heran. Und jetzt die Krönung: der Stuttgarter Eisbär darf in einen riesigen Park nach Schweden umziehen. Künstlicher Gletscher und Fischteich inklusive. Ein Happy End.

Die Geschichte, die Frank Albrecht erzählt, hört sich jedoch ganz anders an. Darin geht es um eine Anlage, die viel zu klein für die Eisbären ist. Wilbärs Vater Anton laufe den ganzen Tag hin und her, viele Zootiere seien "gelangweilt, gestresst und einsam". Auch dem Umzug nach Schweden mag Albrecht zum jetzigen Zeitpunkt nichts abgewinnen. "Das ist eine Zwangstrennung", sagt er, "sie kommt zu früh, weil Eisbärkinder in der Natur ihre Mütter wesentlich später verlassen." Jetzt will Peta beobachtet haben, dass Wilbär von seiner Mutter noch gestillt wird. Peta erwägt eine Strafanzeige gegen den Zoo. "Die Trennung einer noch stillenden Mutter von ihrem Kind erfüllt eindeutig den Straftatbestand der Tierquälerei."

Wilbärs Mutter als Gebärmaschine?

Die Tierschützer unterstellen dem Zoo, dass dieser den Eisbären aus wirtschaftlichen Gründen so früh nach Schweden abgibt. Wilbärs Mutter Corinna solle nach der Trennung schnell wieder trächtig werden. Die Eisbärin werde als "Gebärmaschine" missbraucht. Der Zoo weist alle Anschuldigungen von sich. Wenn in der Wilhelma die Namen von Peta und die ihres Mitarbeiters Frank Albrecht fallen, gehen die Gitter herunter. Ein sogenannter Tierschützer sei Frank Albrecht. Er diene einer Organisation, die den populären Eisbären benutze, um billige Schlagzeilen zu erzielen, neue Mitglieder und mehr Spendengelder.

Frank Albrecht sieht man den Rebellen nicht an. Wenn er über seine Mission redet, tut er dies leise und bedächtig. Er eifert nicht, obwohl er stets moralisch argumentiert. Mit seinem Bürstenhaarschnitt und dem Oberlippenbart entspricht er nicht dem Klischee eines Querulanten, der jahrelang gegen die Meinung einer Mehrheit anrennt. Doch genau dies tut Albrecht, ein Kind der DDR, das in Hoyerswerda aufwuchs. Als die Wende kam und mit ihr die Meinungsfreiheit, entdeckte der junge Mann sein politisches Bewusstsein. Er demonstrierte gegen Neonazis und kämpfte gegen die großen Supermärkte, die das Umland der Stadt verschandelten.

Dann sah er im Fernsehen eine Reportage über Tierschützer. "Die hat mich dermaßen beeindruckt", erzählt Albrecht. Seitdem weiß er, welche Wirkung Bilder von gequälten Tieren haben, welche Stimmung mit Fotos von Hühnern in Massenhaltung zu erzielen ist. Das nutzt Albrecht bei seiner Arbeit aus, das nützt Peta. Und es kostet die Zoodirektoren oft den letzten Nerv.

Die beiden Parteien stehen mit ihren grundverschiedenen Sichtweisen einander unversöhnlich gegenüber. Im Dresdener Zoo bekam Frank Albrecht Hausverbot, als er vor der Elefantenanlage einem TV-Team ein Interview gab. Als der Nürnberger Zoo das Eisbärbaby Flocke vorstellte, kletterte er über das Absperrgitter auf einen Felsen in der Anlage und zeigte den Reportern ein Protestplakat. Daraufhin verurteilte ihn ein Gericht wegen Hausfriedensbruchs.

Auch aus der Wilhelma wurde er bereits hinauskomplimentiert. Als ein Pfleger vor einer Kindergruppe einen Pinguin aus der Anlage nahm, war Albrecht zur Stelle. "Das verängstigte Tier zitterte, und ich habe dies angesprochen." Für den Mann, der einst Dachdecker lernte und vor seinem Engagement bei Peta jahrelang im Fensterbau arbeitete, ist der Schluss eindeutig: Der Zoo "degradiert Tiere zu Streichelobjekten". In der Wilhelma winkt man nur lächelnd ab.

Jetzt geht es um mehr. Wilbär wird das "Hotel Mama" in der Wilhelma noch vor Pfingsten verlassen und nach Schweden transportiert. Doch an welchem Tag der Eisbärjunge tatsächlich ausziehen wird, verrät niemand. Wilbärs Umzug wird zum Staatsgeheimnis. Und manchmal hat man den Eindruck, es würde nicht ein Eisbär, sondern ein hoch radioaktiver Brennstab von Stuttgart aus auf die Reise geschickt. Der Zoo sagt, er wolle jeden Rummel um Wilbär vermeiden und dessen Nerven schonen. Vielleicht geht es aber auch um die eigenen Nerven. Frank Albrecht möchte wohl keiner gerne beim Umzug dabeihaben.
 
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