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Schlangen vor dem Eisbärgehege

Wilbär ist der Chef

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Am liebsten planscht der Kleine draußen, wenn sich das Publikum ruhig verhält.
Foto: Franziska Kraufmann

Wer das Eisbärenkind sehen will, muss Schlange stehen – und hat vielleicht Pech
 

Stuttgart - Wilbär verzückt die Region: Seit drei Wochen, da sich der Eisbär dem Publikum zeigt, heißt es an der Bärenanlage anstehen. Doch zuweilen ist dem Kleinen das Bedürfnis der Besucher einerlei. "Wilbär kommt raus, wenn er Lust dazu hat", erklärt am Dienstag ein Sicherheitsbediensteter einem wartenden Knirps.

Wilhelma Andrang StN
Foto: Franziska Kraufmann
Was fehlt, sind Bettlaken gewordene Liebesbezeugungen pubertierender Mädchen. Keinen kieksenden Schrei, keine hysterischen Verehrerinnen kurz vor der Ohnmacht. Doch ein wenig erinnert die Bärenanlage der Wilhelma zurzeit etwas an einen Auftritt der Teenieband Tokio Hotel in der Schleyerhalle: Ein Devotionalienstand ermuntert zum Geldausgeben. Fast jeder hält eine Digitalkamera bereit, um Frontmann Wilbär in geeigneter Pose zu knipsen. Sicherheitskräfte erklären freundlich aber bestimmt, wo es langgeht. Stählerne Absperrgitter lenken den Strom der Wilbär-Fans geordnet vor die Bühne, Pardon, vors Gehege.

Schlange stehen bei Wilbär? "Insbesondere an Wochenenden, Feiertagen und in den Ferien kann die Wartezeit bis zu zwei Stunden betragen", warnt ein Schild am Eingang vor der maurischen Wand. "Des tu ich mir net an", murrt einer und winkt ab.

Zumindest zeitweise mussten die Menschen am jüngsten Brückentagwochenende bis zu zwei Stunden warten, als laut Wilhelma-Direktor Dieter Jauch zwischen 16.000 und 18.000 Besucher täglich die Eingänge zum zoologisch-botanischen Garten passiert hatten. "Ansatzweise spüren wir den Wilbär-Effekt", hat Jauch festgestellt, wenngleich bisher an warmen Frühlingstagen ähnlich viele in die Wilhelma geströmt seien.

Aber jetzt ist Wilbär, weshalb clevere Eisbärenjünger am Werktag kommen, so sie über Tagesfreizeit verfügen. Eintrittskarte gelöst; vorbei an Tulpenbeeten hier und im Gras dösenden Besuchern dort, ist nach gut fünf Minuten Fußmarsch das hintere Ende der Schlange erreicht. "Noch 45 Minuten bis Wilbär", verheißt ein Täfelchen. Eine Dreiviertelstunde – gebongt. Nur dass sich Wilbär und Mama Corinna heute zieren. Seit einer halben Stunde ist das Gehege verwaist. Zwar tapst nebenan der beeindruckende Eisbärenvater Anton stoisch über die Felsen und wundert sich vermutlich nicht mehr über den aufgeregten Menschenauflauf.

Doch wo ist Wilbär?

"Vorher war er kurz da", berichtet ein Sicherheitsmann, "die vielen Ahs und Ohs haben ihn aber wohl erschreckt, er ist gleich wieder rein." Durch die Maueröffnung zum Innengehege ist Corinnas Silhouette zu erkennen. Quengelnde Kinder werden mit einem Eis besänftigt.

Als sich ein Kamerateam vor der Glasscheibe postiert, wird klar, dass auch ein Eisbärenkind Pflichten zu erfüllen hat. Pfleger Andreas Wössner greift zu einer List: Äpfel sollen die beiden anlocken. Sekunden später trottet Corinna mit Wilbär im Schlepptau nach draußen. Na bitte, wenn’s ums Fressen geht...

Schon fünf Minuten später schreitet der Sicherheitsmann zur Tat: "So, Leute, gehen wir weiter." Die nächsten sind dran, einen Blick auf Wilbär zu erhaschen. Gelingen kann dies übrigens auch jenseits der Absperrung. Von Papas starken Schultern aus überblickt nämlich jedes Kind locker alle Wilbär-Verrückten, die es in die erste Reihe geschafft haben.
 

Michael Deufel, StN

06.05.2008 - aktualisiert: 06.05.2008 18:16 Uhr

 



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